FKT-Online-Seminar: Oberflächennahe Geothermie: Zeitenwende - auch für die Energieversorgung des neuen Klinikums Lörrach
Das neue Klinikum Lörrach belegt eindrucksvoll, dass Heizen und Kühlen mit Wärmepumpen für Krankenhäuser realisierbar ist. „Auch wenn Gas mittlerweile wieder billiger ist, so bleibt Energie- und Ressourceneffizienz eine gesellschaftliche Verantwortung“, betont Thorsten Stolpe.
Er ist überzeugt: „Langfristig werden sich Gas- und Strompreise auf hohem Niveau einpendeln.“ Damit hält der Geschäftsführer Bau der Kliniken des Landkreises Lörrach GmbH die vor gut einem Jahr getroffene Entscheidung für eine Brunnenwasserheizung auch ökonomisch nach wie vor für die beste von sehr vielen betrachteten Möglichkeiten. Die aktuelle politische Entwicklung – Stichwort Heizungsgesetz - gibt ihm Recht.
In dem Bauvorhaben fusionieren die ehemals vier Kliniken des Landkreises in der äußersten Südwestecke Deutschlands zur einem modernen Gesundheitszentrum mit 677 Betten. Ende 2020 war Baubeginn, 2025 soll das neue Klinikum in Betrieb gehen. Alle Dachflächen werden maximal mit Photovoltaik belegt. Das sei heute ein absolutes Muss, so Stolpe.
Radikales Umdenken in der Leistungsphase 8
Ursprünglich sollte nur ein kleiner Teil des Wärme- und Kältebedarfs mittels Wärmepumpen aus oberflächennahem Grundwasser gedeckt werden. Hauptsächlich jedoch wollte man das Klinikum mit konventionellen gasbefeuerten Brennwertkesseln und einem Blockheizkraftwerk beheizen. Das war bis dahin politisch gewollter und entsprechend subventionierter Standard. Zwei Jahre nach Baubeginn - die Leistungsphasen 6 und 7 waren sowohl für das Klinikum als auch für die den gesamten Campus versorgende Energiezentrale weitgehend abgeschlossen - kam am 24 Februar 2022 mit dem Beginn des Ukrainekriegs der Tag, der die bis dahin geltenden Annahmen und Berechnungen zu Makulatur machte. Plötzlich war die Versorgung mit Gas alles andere als sicher, der Gaspreis stieg in Schwindel erregende Höhen. Dazu kam: Das Thema Klimaneutralität rückte immer deutlicher in den Vordergrund. Die politische Doktrin war plötzliche eine andere: Zeitenwende, Gasheizungs-Verbot und Solar-Pflicht waren die neuen Schlagworte.
Vor dieser Kulisse trafen die Verantwortlichen hinter dem Bauprojekt die mutige Entscheidung, das Wärme- und Kältekonzept nochmals neu zu denken. Wieder wurden zahlreiche Möglichkeiten, von der Hackschnitzelheizung über Kraft-Wärme-/Kälte-Kopplung oder saisonale Wärme- und Kältespeicher bis hin zur Geothermie in allen Varianten betrachtet und durchgerechnet. Ziel war eine bedarfsgerechte nachhaltige Energieversorgung. Erschwert wurde die Planung durch die unübersichtliche Förderlandschaft in Deutschland und komplizierte gesetzliche und steuerliche Regelungen für Energienetze. Doch am Ende stand die Lösung, den Wärme- und Kältebedarf des Klinikums – 4000 MWh Wärme und 2300 MWh Kälte - fast vollständig mit Wärmepumpen aus oberflächennaher Geothermie zu decken. „Eigentlich haben wir damit nur erweitert, was am Anfang schon geplant war“, berichtete Stolpe beim FKT-Online-Seminar „Oberflächennahe Geothermie – Zeitenwende auch für die Energieversorgung des Klinikums Lörrach“. Denn ein Teil der Wärme- und Kälte sollte ja schon vorher aus Brunnenwasser gezogen werden.
Wärme und Kälte aus dem Grundwasser
Nun musste entweder die geplante Brunnenförderleistung oder die Temperaturspreizung erhöht werden. Um das Grundwasser nicht – wie vorgegeben – um mehr als ein Kelvin zu erwärmen, entschied man sich für Ersteres. Eine Analyse hatte gezeigt, dass das Grundwasseraquifer über ausreichende Kapazitäten auch für deutlich höhere Entnahmemengen verfügte. Weitere Vorgabe war, dass durch die Entnahme keine Absenkung des Grundwasserspiegels und des Wasserspiegels in umliegenden Gewässern verursacht werden darf. Drei Brunnen, von denen einer als Redundanz dient und erlaubt, die Brunnen nicht voll auszulasten, entnehmen im neuen Konzept vor dem Klinikum 280 Kubikmeter Grundwasser in der Stunde zum Heizen und 180 Kubikmeter Grundwasser in der Stunde zum Kühlen. Hinter dem Klinikum wird das Kühl- bzw. Heizwasser wieder dem Grundwasser zugeführt.
Die Wärmepumpenleistung wurde erhöht und das Temperaturniveau der Wärmeübergabesysteme gesenkt. Fünf Wärmepumpen mit jeweils 500 kW und eine Hochtemperaturwärmepumpe mit 300 KW versorgen das Klinikum aus dem Grundwasser mit Wärme und Kälte. Zwei gasbetriebene Brennwertkessel mit jeweils 850 kW federn die Spitzen ab und sorgen für Sicherheit im Havariefall. Erforderlich wurden sie unter anderem, weil die Energiezentrale des Klinikums schon für die Winterbaubeheizung zur Verfügung stehen sollte. Die Brennwertkessel stellen im neuen Energiekonzept aber nur noch ein Prozent des gesamten Energiebedarfs zur Verfügung. Im ursprünglichen Konzept sollten 62 Prozent des Energiebedarfs mit Gas gedeckt werden. Ein geplantes Blockheizkraftwerk wurde komplett verworfen. Die Wärmepumpen decken im neuen Energiekonzept 78 Prozent des Energiebedarfs, statt ursprünglich 11. 21 Prozent des Bedarfs generiert eine intensive Nutzung von Abwärme bzw. -kälte durch Wärme-/Kältekopplung, die im alten Energiekonzept gar nicht vorgesehen war.
Für die Realisierung des neuen Heizkonzeptes wurde das ganze Klinikum konsequent auf Flächenheizung durch Betonkernaktivierung umgestellt. Lediglich die Patientennasszellen werden mit einer elektrischen Fußbodenheizung erwärmt. Hier war die Planung schon zu weit fortgeschritten, sagt Stolpe Das Trinkwasser wird mit der oben aufgeführten effizienten zweistufigen Hochtemperatur-Wärmepumpe erwärmt.
Wärmepumpe geht auch im Krankenhaus
Als Fazit zieht Stolpe aus dem ambitionierten Projekt vor allem die Erkenntnis: Wärmepumpen können auch den Wärme- und Kältebedarfs eines Krankenhauses decken. Die Technologie ist seit mehr als 100 Jahren bewährt. Die Umplanung war für das Klinikum Lörrach sowohl zeitlich als auch technisch machbar. „Die damit einhergehende Zeitverzögerung von sechs Monaten hätten wir vermutlich durch - ebenfalls dem Ukrainekrieg geschuldete Lieferengpässe - und andere Probleme im TGA-Bereich ohnehin gehabt.“
Die Zusatzkosten für das neue Energiekonzept waren mit 6,9 Mio. Euro durchaus beachtlich. Dem gegenüber stehen jedoch künftige Betriebskosteneinsparungen von rund einer Millionen Euro im Jahr, selbst bei moderater und damit relativ unwahrscheinlicher Preisentwicklung der Energieträger. „Doch: Natürlich sind unsere Amortisationsberechnungen zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung heute schon wieder Makulatur. Unabhängig von der rein wirtschaftlichen Betrachtung spart das neue Energiekonzept eine beträchtliche Menge an CO2-Emissionen. Klimaneutralität wurde während seiner Umsetzungsphase zum Megatrend. Da sind wir nun eindeutig Vorreiter.“
Stolpe ist überzeugt: „Um dem Gesundheitswesen die Transformation in die Klimaneutralität zu erleichtern, müssen Kostenträger und Fördermittelgeber ihre Richtlinien dringend überarbeiten. Es kann nicht sein, dass wir Zuschüsse für teure Energie bekommen, gleichwohl aber nicht angemessen dabei unterstützt werden, unnötige Energieverbräuche zu vermeiden. Damit sie Nachhaltigkeit als Unternehmensziel realisieren können, müssen Krankenhäuser gezielter und vor allen Dingen unbürokratischer gefördert werden.“
Vorausschauend agieren
Auch für die Zukunft ist das neue Klinikum Lörrach bestens gewappnet. Anschlussleistungen für Erdgas in angemessener Dimension wurden verlegt. Bei ausreichender Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff oder grünem Erdgas wäre eine Umstellung möglich und ökologisch gegebenenfalls sinnvoll. Stolpe geht jedoch davon aus das grüner Wasserstoff und grünes Erdgas in erster Linie in der Industrie gebraucht werden.
Maria Thalmayr