FKT-Online-Seminar: Notstromversorgung – zwischen Patientenschutz und technischer Notwendigkeit
„Wir brauchen dringend ein planvolles Vorgehen“, sagte Thomas Flügel beim FKT-Online-Seminar zum Thema Notstromversorgung. Ein grundlegendes Problem bei der Blackout-Vorsorge sei die vorherrschende organisatorische wie technische Konzeptlosigkeit.
Dazu komme eine, oft in blindem Aktionismus mündende, Vermischung der Schutzziele – befeuert nicht selten von Unternehmen, die einschlägige nicht immer geeignete Lösungen verkaufen wollen. Flügel stellte dazu klar: „Bei der Versorgung mit Notstrom geht es ausschließlich um Lebensrettung.“ Kompromisse oder gar ein Herumexperimentieren mit nicht zugelassenen Alternativversorgungen seien bei der Erfüllung dieser zentralen Aufgabe absolut tabu. Erst in zweiter Linie gilt es schließlich, einen Krankenhausnotbetrieb aufrechtzuerhalten – ein völlig anders gelagerter Aspekt.
Klare Prioritäten setzen
Als grundlegenden und wichtigsten Schritt bedürfe das einer klaren Priorisierung der Stromverbraucher, die bei einem Stromausfall unverzichtbar sind – für Patienten, Mitarbeitende und Besucher im Krankenhaus. Statt die Kapazitäten von Notstromaggregaten immer weiter aufzustocken, sollten Krankenhausbetreiber sorgfältig abwägen, welche Technologien tatsächlich nach den ersten kritischen 15 Sekunden über Leben und Tod entscheiden und daher mit Notstrom versorgt werden müssen.
Nur der Norm zu genügen, reicht nicht
Die Norm DIN VDE 0100-710:2012-10, in der die Notstromversorgung geregelt ist, könne dabei nur begrenzt als Entscheidungsgrundlage dienen, sagte der Leiter des FKT-Referates Elektrische Anlagen, der selbst im Normungsgremium mitwirkt. „Das Regelwerk räumt historisch bedingt dem Brandschutz als einem der häufigsten Katastrophenszenarien im Krankenhaus und damit der Beleuchtung von Fluchtwegen und der Versorgung von Brand- oder Rauchmeldeanlagen, dem Schließen von Rauchabschlusstüren sowie anderen bei einem Brand unverzichtbaren Systemen oberste Priorität ein.“ Durch die hohe Technikabhängigkeit der Medizin beginne die Katastrophe in medizinischen Einrichtungen heute jedoch lange vor einem Brand – allein dadurch, dass kein Strom mehr zur Verfügung steht. Entsprechend müssen bei der Not- wie auch bei der Ersatzstromversorgung weit mehr als die normativ vorgegebenen Anlagen und Systeme berücksichtigt und adäquate organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, um ein Weiterfunktionieren des Klinikbetriebs bei einem Stromausfall zu gewährleisten.
Lernen aus Erfahrung
Als plastisches Beispiel erörterte Flügel die Geschehnisse bei einem Stromausfall in Berlin-Köpenick im Februar 2019. Bei einer Horizontalbohrung waren die zwei einzigen vorschriftsgemäß getrennten Hauptzuleitungen zu diesem 55 Quadratkilometer großen Stadtteil Berlins beschädigt worden. In der Folge waren 31.500 Haushalte, 2000 Gewerbetriebe, Straßenbahn, S-Bahn, Tankstellen, Supermärkte, selbst die Berufsfeuerwehr sowie 28 Seniorenwohnheime und auch zwei Krankenhäuser mit 520 bzw. 420 Betten drei Tage lang von der Netzversorgung abgeschnitten. Das öffentliche Fernmeldenetz kam sofort zum Erliegen, das Mobilnetz nach 90 Minuten. Die Lehren aus diesem Vorfall sind vielfältig. Unter anderem haben die Betreiber von Seniorenheimen aus diesen kritischen Stunden mitgenommen, dass es wichtig ist, Krankenhäuser im Vorfeld zu informieren, wie viele ihrer Bewohner bei einem Stromausfall zeitnah ins Krankenhaus verlegt werden müssen, weil sie im – gegebenenfalls nicht mit Notstrom versorgten Pflegeheim – nicht versorgt werden können. Die Intensivstation eines der beiden Krankenhäuser wurde nach einem kurzen Aussetzer eines Dieselaggregats evakuiert. Der diensthabende Oberarzt der Anästhesie, der im Katastrophenfall per Gesetz das Kommando übernimmt, hatte einen Weiterbetrieb als zu großes Risiko eingeschätzt. Dass den zu evakuierenden Patienten nur ungenügende Informationen über ihre Erkrankungen mit auf den Weg gegeben werden konnten, weil diese ausschließlich digital vorlagen und mangels Strom niemand drankam, war ein weiteres erkanntes Defizit. Im Zuge der Digitalisierung sollte das besser vorbereitet werden, sagt Flügel.
Als trügerische Sicherheit erwiesen sich zwei Blockheizkraftwerke. Sie verfügten nicht über die notwendige Ausstattung, um im Inselbetrieb eine alternative Stromversorgung aufrecht zu erhalten. Wie die meisten BHKW brauchten sie die äußere Referenzspannung, um sich damit zu synchronisieren, und mussten während des Stromausfalls abgeschaltet werden, um keinen Schaden zu nehmen. „Prüfen Sie, ob Ihre Energieerzeugungsanlagen schwarzstartfähig sind und lassen Sie sie gegebenenfalls nachrüsten“, lautet damit ein weiteres Fazit aus dem Vorfall in Köpenick. Und: Lassen Sie in Ihrer Klinik auf keinen Fall ungenehmigte und nicht entsprechend abgesicherte Erdarbeiten zu!“ Um die Folgen eines Stromausfalls für die eigene Klinik ermessen zu können empfahl Flügel den Teilnehmern einen Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags zum Thema „Gefährdung und Verletzung moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“: https://dserver.bundestag.de/btd/17/056/1705672.pdf
Klare Strukturen schaffen
Sehr am Herzen liegt Flügel als Grundlage für ein strukturiertes Vorgehen eine klare Abgrenzung der Begrifflichkeiten, Schutzziele und Aufgaben: „Notstromversorgung“ meint ausschließlich die Versorgung aller lebensnotwendigen Anlagen und Systeme, die 15 Sekunden nach dem Ausfall der Netzversorgung aus dem Notstromaggregat versorgt werden müssen. Sein Rat lautet: „Sprechen Sie, wenn es um nötige Investitionsmittel geht, bewusst von Notstromversorgung, das unterstreicht die Dringlichkeit!“ Systeme, die nicht unmittelbar der Rettung von Menschenleben dienen, jedoch erforderlich sind, um einen Klinikbetrieb zu gewährleisten, können ebenfalls mit Strom aus dem Aggregat versorgt werden. Das muss jedoch nicht zeitkritisch innerhalb von 15 Sekunden geschehen und kann auch im Wechsel der Verbraucher erfolgen. In diesem Fall spricht man von „Ersatzstromversorgung“. Da außerdem immer mehr sensible Geräte einer Versorgungsunterbrechung von 15 Sekunden nicht standhalten, müssen sie zusätzlich mit einer sogenannten Unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) ausgestattet werden. Das sollte, so Flügel, immer gerätebezogen geschehen und bedürfe jeweils einer Einzelfallentscheidung. Normativ vorgeschrieben sei das nicht, aber technisch zwingend für sensible Geräte, die bei einem Stromausfall zur Verfügung stehen müssen.
All diese Entscheidungen zur Priorisierung lebenswichtiger Verbraucher für eine Versorgung mit Notstrom, zur Versorgung sämtlicher für die Aufrechterhaltung eines Notbetriebs notwendiger Anlagen mit Ersatzstrom und zur Absicherung sensibler Geräte mit einer USV sollten letztlich in ein schlüssiges Gesamtsystem münden, das verbunden mit vielen organisatorischen Maßnahmen des Katastrophenmanagements ein sicheres Weiterfunktionieren einer Klinik bei einem Stromausfall ermöglicht. „Normen und sonstige Vorschriften, auch einzelner Bundesländer, können letztlich nur Rahmenbedingungen festlegen, die in eine gewollte Gesamtfunktion münden. Letztlich ist die Versorgung im Notfall aber immer in einem hohen Maße individuell. Jedes Krankenhaus muss sich zugeschnitten auf die jeweiligen Gegebenheiten vorbereiten und das Geschehen im Notfall auch selbst steuern“, so Flügel. Wertvolle Hinweise bietet dazu auch die Blackout-Vorsorge-Checkliste der Fachvereinigung Krankenhaustechnik (FKT).
Übrigens: Rein statistisch ist jeder Bundesbürger eine Minute im Jahr von einem Stromausfall betroffen. Das klingt nach nicht viel, kann für Gesundheitseinrichtungen aber schon gefährlich werden. Ereignisse wie der Stromausfall in Köpenick zeigen darüber hinaus, dass es jederzeit auch schlimmer kommen kann.
Wegen des großen Interesses am Thema, das in diesem ersten einstündigen Webinar nur angerissen werden konnte, ist demnächst eine Fortsetzung mit Schwerpunkt Technik geplant. Dazu vorab schon so viel: Das gute alte Dieselaggregat ist bis heute nicht ersetzbar. Brennstoffzellen haben sich nicht durchgesetzt.
Maria Thalmayr
Die Präsentation zum Webinar finden Sie hier