FKT-Online-Seminar: Keine Digitalisierung ohne Automatisierung
Rund 6,1, Mrd. Euro könnten durch Automatisierung im Gesundheitswesen eingespart werden, schätzt eine Studie von McKinsey. Doch die Ausgangssituation für die Entwicklung entsprechender Systeme ist schwierig.
Bevor Automatisierungslösungen im Gesundheitswesen oder speziell in der Klinik Einsparungen ermöglichen, sind große Investitionen und eine tiefgreifende Umgestaltung der Peripherie in Richtung eines vollständig vernetzten Krankenhauses erforderlich. Diese Aufgabe kann nicht von einer Klinik, einer Firma oder einer Forschergruppe allein bewältigt werden und erfordert eine umfassende Abstimmung: „Wir brauchen Entwicklungsstrukturen, die gewährleisten, dass nicht unterschiedliche Teams dasselbe erforschen und dabei immer wieder von vorne anfangen, manchmal ohne voneinander zu wissen. Außerdem brauchen wir Standards und Schnittstellen, die dafür sorgen, dass Entwicklungsprojekte letztlich zusammenpassen und ein effizientes Gesamtsystem ergeben. Forschung für die Nutzung der Digitalisierung im Gesundheitswesen muss aufeinander aufbauen und die Ergebnisse in Hinblick auf eine Funktion im Netzwerk eines Digitalen Krankenhauses abgestimmt werden“, forderte Jan Stallkamp, einer der Direktoren des Mannheimer Instituts für Intelligente Systeme in der Medizin und Leiter der Abteilung für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie, beim FKT-Online-Seminar „Keine Digitalisierung ohne Automatisierung“. Erschwert werde die Arbeit an Automatisierungslösungen in Deutschland zudem durch den unausgewogenen Datenschutz und eine überbordende Bürokratie. Um als Entwicklungsstandort nicht abgehängt zu werden, bedürfe es eines Paradigmenwechsels.
Produktionsstraße geht im Gesundheitswesen nicht
Untrennbar mit der Digitalisierung verbunden attestiert auch Stallkamp Automatisierungslösungen jedoch ein enormes Potenzial, um Aufgaben im Gesundheitswesen besser und effizienter zu lösen. Die aus der Industrie bekannten Produktionsstraßen, die man spontan mit „Automatisierung“ assoziiert, werde es im Krankenhaus aber nicht geben. Patienten, die von Geisterhand durch eine hochentwickelte Genesungsmaschinerie (im wahrsten Sinne des Wortes) gleiten, scheitern nach Stallkamp an sehr grundlegenden Faktoren: Medizin erfordere noch zu viel Handarbeit und der Umgang mit dem Menschen entscheidend mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit.
Automatisierte Logistik geht schon jetzt
Die größten Chancen für Effizienz- und Qualitätssteigerungen gleichermaßen sieht er in der Logistik: Medikamente, Speisen oder auch Patienten mit autonomen Transportsystemen von A nach B zu bringen, sei schon jetzt technisch möglich, scheitere aber oft noch an den Kostenstrukturen, den baulichen Gegebenheiten gerade älterer Krankenhäuser oder den Bestimmungen. Noch sei beispielsweise ein automatisierter Patiententransport innerhalb der Klinik in Deutschland nicht zulässig. Doch Stallkamp ist überzeugt: Technik könnte Patienten besser überwachen als Menschen und auch schneller einen Notruf und den Patienten an der richtigen Stelle absetzen, wenn das Gesamtkonzept stimmt. Automatisierung könnte das Gesundheitswesen grundsätzlich verändern. Selbst Krankentransporte von zu Hause zu den jeweils besten Ärzten in spezialisierten Gesundheitszentren deutschlandweit hält Stallkamp in Zukunft als Folge der Entwicklung autonomer Fahrzeuge für möglich und im Sinne von Effizienz- und Qualitätssteigerungen im Gesundheitswesen langfristig auch für vorteilhaft.
Diagnostik geht mit KI besser
In der Radiologie wie auch in der Kardiologie haben im Augenblick KI-gestützte Diagnosesysteme die größten Erfolgschancen, u.a. da dort die erforderlichen digitalen Daten in großem Umfang bereits zum diagnostischen Prozess gehören und weitgehend zur Verfügung stehen. Mittlerweile wird von medizinischer Seite bestätigt, dass mit Hilfe von KI beispielsweise EKGs viel schneller und genauer ausgewertet werden können als manuell durch den Arzt. Doch: Aus schlechten Daten folgt nie ein gutes Ergebnis. Stallkamp bricht daher eine Lanze für die Berücksichtigung des Gesamtprozesses beginnend mit der automatisierten Datenerhebung bei der Entwicklung von KI-Lösungen und der Verwendung der Daten beispielsweise zur Steuerung von Geräten oder Prozessen.
Automatisierte OPs gehen noch nicht richtig
An ihre Grenzen stoßen automatisierte Systeme derzeit noch bei der automatischen Durchführung invasiver Maßnahmen am Menschen. So verschwanden in den letzten Jahren so manche als technische Highlights gepriesene OP-Roboter wieder sang- und klanglos vom Markt, weil sie die Anforderungen nicht ausreichend erfüllen konnten. Mit Hochdruck geforscht werde derzeit an automatisierten Systemen für das Erreichen der Stenose nach einem Schlaganfall via Katheter – ein kniffliger Vorgang, bei dem jede Sekunde zählt. Automatisierte Systeme könnten hier unter Umständen schneller den richtigen Weg finden, hofft Stallkamp.
Maria Thalmayr
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